Papa sein dagegen sehr.
Rikki Tim-Tom
oder
587 Möglichkeiten, ein Baby falsch zu halten
Ein Fortsetzungstagebuch
Kapitel 1/4, Woche 1
„Rikki? Wie schreibt man das?“
Ich steige ins Auto, mein erster Weg führt mich zum Bäcker. Ich kaufe ein phänomenales Frühstück, von meinem Baby erzähle ich gar nichts. Soll ich vielleicht sagen: „Ach, übrigens, ich komme gerade aus dem Krankenhaus, mein Baby ist geboren worden…“
Ich behalte es lieber in mir drin, freue mich nur klammheimlich und verlasse mit meiner riesigen Tüte den Laden.
Wie ich mich ins Auto setze fährt mein Nachbar, der ein Busunternehmen hat, an mir vorbei. Spontan wende ich und fahre hinter ihm her. An der nächsten roten Ampel fahre ich neben ihn auf die Abbiegespur, und hupe ihn an. „Guten Morgen, Hans, ich bin gerade Papa geworden,“ aber schon schaltet die Ampel auf grün, und Hans beglückwünscht mich, und fährt weiter. Früher habe ich mich gewundert, wie frischgebackene Papas die Daten ihrer Babys immer auswendig wussten. Und jetzt würde ich selber gerne sagen: 4300Gramm, 53cm groß, Kopfumfang 34cm. Eigentlich will ich es schon jemandem erzählen, aber ich will auch gerne für mich sein. Ich habe so ein warmes Gefühl in mir, so eine Hochstimmung, die will ich mir nicht zerstören durch zuviel reden. Vielleicht fahre ich ein bisschen spazieren? Im Auto läuft: „And the World is turning right“ von Yothu Yindi, bestimmt schon zum zehnten mal. Das ist mein Rikki-Song, und ich denke mir, später, in zehn Jahren vielleicht, werde ich das Lied meiner Tochter vorspielen und ihr von dem heutigen Tag erzählen.
Aber Auto fahren ist auch nicht das, was mir heute Spaß macht. Ich fahre nach hause und lege im Geschäft einen Zettel auf den Tisch: „Ich bin Papa, sie heißt Rikki, 4300 Gramm, 53cm groß, alles gesund, ich habe heute frei!“ Ich lasse ein paar Butterbrezen da, gehe in den ersten Stock hoch in unsere Wohnung und frühstücke. Komisch, Zeitung lesen macht Spaß. Ich habe immer noch mein warmes Gefühl im Bauch, aber langsam denke ich, das kommt vielleicht auch von der Übermüdung. Trotz meines großen Kaffee-Potts, den ich gerade getrunken habe, lege ich mich ins Bett, und prompt schlafe ich ein.
Um 11 Uhr wache ich wieder auf, und wieder fange ich erst mal mit Kaffee an. Ich habe zwar vorher allen gesagt, dass ich nicht zu denen gehöre, die sich sofort ans Telefon stürzen, um alle anzurufen. Es wird sich schon herumsprechen. Aber die ersten, wichtigsten Telefonate führe ich jetzt. Alles gesund, vier ½ Stunden von der ersten Wehe bis zur Geburt, das kann man schon erzählen…
Der interessanteste Anruf ist der nach Makedonien bei Irenas Eltern. Ich spreche kein makedonisch, aber das Abenteuer ist es mir wert. 4300 Gramm, 53cm habe ich mir von Irena schon auf einen Zettel aufschreiben lassen, und den Rest radebrechte ich auch irgendwie hin. Sve dobro, sage ich, alles gut. Nur das Wort für Mädchen weiss ich nicht, und so muss sich die Familie gedulden, bis Eva, das ist Irenas Schwester, die auch in Augsburg lebt, sich bei ihnen meldet.
Als nächstes ist mir jetzt wichtig, dass ich meine Filme mit den Bildern von der Geburt entwickeln lasse. Nicht in meinem eigenen Laden, da müsste ich ja bis zum nächsten Tag warten. Ich will in ein Minilab fahren, da habe ich die Bilder in einer Stunde.
Ich gehe in den Laden hinunter, wo ich mir ausmale, welcher grandiose Empfang mich erwartet. Im Laden haben sie schon ein riesiges Transparent aufgehängt, aus foto morgana haben Sie father morgana gemacht. Es kann wohl keinen Kunden geben, der nicht mitbekommt, dass wir jetzt einen Menschen mehr bei uns haben.
Aber wo ist die Belegschaft?
Nur die Sarah ist da. Na ja, aber wenigstens hat sie frischen Kaffee fertig, und zum ersten mal habe ich die Gelegenheit, meine Geschichte zu erzählen. Und es ist interessant- nicht einmal einen Bruchteil von dem kann man wiedergeben, wie es wirklich war.
Aber da geht schon die Türe auf, und der Rest der Belegschaft ist da. Sie waren schon im Krankenhaus und haben eine riesige Überraschung für mich: Das erste Bild von Rikki. Sie haben einfach die Passbildkamera abgebaut, und jetzt werden die Fotos ausgedruckt. Eigentlich hätte ich mir gewünscht, sie hätten etwas mehr Rücksicht auf Irena genommen, aber das erste Bild, das ist schon etwas.
Na ja, und eigentlich bin ich nicht einmal beleidigt, dass ich nicht der erste bin, der ein Foto von Rikki hat. Und schliesslich sind wir ein Foto-Fachgeschäft, und unsere Kunden haben ein Recht darauf, zu sehen, wie der neue Riegel ausschaut.
Ich bestelle Blumen fürs Krankenhaus und werde gleich beglückwünscht. Woher weiss denn mein Florist schon, dass ich Papa bin? Dann gebe ich die Filme zum entwickeln ab und freue mich auf mein Baby und auf meine Frau.
Irena geht es super. Rikki auch.
Mir auch. Eigentlich.
Aber es drückt mich, was für Arbeit zuhause auf mich wartet. Wir sind erst vor 4 Wochen in unser Haus eingezogen, und da gibt es noch 200 Kleinigkeiten, die erledigt sein wollen.
Rikki schläft, Irena geht es gut, aber sie ist müde, und auf die Bilder bin ich auch neugierig. Also mache ich mich wieder auf den Weg.
Die Aufnahmen von der Geburt sind super, ich bin begeistert.
Im Krankenhaus war ich noch hin und her gerissen- ich hatte ein schlechtes Gewissen, zwischen der Fürsorge für meine Frau immer wieder abschalten und cool und professionell meine Kamera bedienen. Obwohl ich das Gefühl hatte, so gut wie gar nicht fotografiert zu haben, bin ich nun doch überrascht, wie viele und auch wie authentische Bilder vor mir liegen.
Von meinem frischen Baby, zum Teil noch mit Nabelschnur, von meiner überglücklichen Frau fünf Minuten nach der Geburt, und auch von Ihrem Kampf vorher.
Nach Trinken und Feiern ist mir nicht, aber Rikki ist noch keine 24 Stunden alt, da sind die Bilder schon auf unserer Homepage.
Die nächsten Tage vergehen alle nach dem gleichen Schema- zwei mal täglich kurz ins Krankenhaus, den Rest des Tages arbeite ich in der Wohnung. Mein Ehrgeiz ist, dass alles fertig ist, wenn Irena und Rikki nach hause kommen.
Immer frägt mich Irena, was ich denn mache, und ich sage ihr immer irgendetwas, aber nicht, dass ich vor ein Uhr nachts nicht schlafen gehe und immer noch Angst habe, dass unsere Wohnung noch eine Baustelle ist, wenn sie heimkommen.
Die Schwester frägt uns nach dem Namen unserer Tochter, und mit Stolz geschwellter Brust sprechen wir ihn aus: Rikki Magdalena Pandora.
Aha.
Wie schreibt man denn das? Er i ka ka i?
Da müssen wir zum Standesamt gehen. Hätten wir unsere Tochter Nina getauft, oder Lena, oder Sarah, wir hätten keine Schwierigkeiten gehabt, bis zur Entlassung wären die Papiere fertig gewesen.
Aber Rikki? Das ist ja gar kein Mädchenname. Da müssen wir erst mal beweisen, dass es diesen Namen überhaupt gibt.
Dabei haben wir gar keine Wahl. Als wir in unser Haus eingezogen sind, habe ich einen Briefkasten angemalt. Irena war im achten Monat, und wir wollten das Geschlecht unseres Kindes nicht vorher wissen. Es war klar: wenn unser Baby da ist, heisst es Rikki, egal, ob es ein Mädchen ist oder ein Junge.
„Irena,“ frage ich, „wie schreibt man Rikki?“ Also auf gar keinen Fall Ricky, auch nicht Rikky, und im Gedanken an die Rechtschreib-Reform möchte ich es einfach haben.
Also prangt auf unserem Briefkasten schon 6 Wochen vor der Geburt in fünf cm großen Lettern Rikki.
Am zweiten Tag im Krankenhaus, als ich Rikki aus Ihrem Bettchen nehme, laufe ich mit Ihr zum Fenster und erzähle ihr: „Schau mal, Rikki, da draussen, das ist die Welt, die wartet auf Dich, und die hat soo viel Überraschungen für Dich und so viel zum lernen gibt es, und das machen wir alles zusammen…“, und zum ersten mal wundere ich mich über das Schmunzeln der anderen Erwachsenen, die sich amüsieren, wie ich mit meinem Säugling umgehe. Scheinbar bin ich der einzige, der vor hat, mit seinem Kind ganz normal umzugehen und zu sprechen.
In Irenas Zimmer liegen mittlerweile drei Mamas und drei gesunde Babies. Am dritten Tag bringe ich eine Flasche Champagner und Pappbecher mit, und zufällig sind auch alle drei Papas da. Weil sich die Mamas alle nicht so fit fühlen, trinken wir Männer die Flasche allein und haben prächtige Laune. Es ist der erste Alkohol, den ich seit der Entbindung zu mir nehme.
Einen Tag, bevor ich meine Familie abholen kann, bekomme ich von Erwin und Tom, meinen Brüdern, das schönste Geschenk von allen- sie schicken mir für einen Tag zwei Perlen, zwei Putzfrauen. Als sie fertig sind, ist alle Wäsche gebügelt, alle Böden sind geschrubbt, alle Fenster geputzt, die Küche spiegelt, kein Staubkorn lässt sich mehr finden. Ich schwebe vor Glück, meine Familie kann heimkommen.