Papa sein dagegen sehr.
Rikki Tim-Tom
oder
587 Möglichkeiten, ein Baby falsch zu halten
Ein Fortsetzungstagebuch
Das zweite Jahr, Monat 8
Kapitel 2/21
Wenn das Universum eine Scheibe wäre
Wir sind schon eine ganz besondere Familie.
Zumindest haben wir zwei ganz besondere Kinder. Alle lieben Rikki. Am Anfang ist sie ja recht vorsichtig im Restaurant, Sie bleibt immer in unserer Nähe und benimmt sich höflich und wohl erzogen.
Mindestens 10 Minuten lang.
Dann fängt sie an, zu erkunden. Natürlich geht Sie mit uns zum Buffet und wieder zurück. Dann geht Sie alleine auch hin. Und dann findet sie ihre eigene Lieblingsbedienung. Ayla bringt uns bei jedem Restaurantbesuch einen Hochsitz für Tim, nimmt Rikki hoch und herzt sie. Es ist Liebe auf den ersten Blick. Von nun an haben wir Ruhe beim essen. Egal, wo wir sitzen, egal, wo Rikki hinspaziert, Ayla ist da und kümmert sich um sie. Gott sei dank ist Vorsaison, und es sind nicht so viele Gäste hier. Aber nicht nur Ayla- wirklich alle lieben Rikki. Es macht mich schon ein bisschen stolz, wenn ich herumschaue, und sehe, dass wir ja nicht die einzige Familie mit Kindern sind. Aber kein Kind ist kleiner als unser Tim, und kein Kind ist so begehrt wie Rikki. Kaum einmal können wir irgend wo hin gehen, ohne, dass jemand die Rikki hoch nimmt und küsst.
Und Rikki genießt es. Zu hause, in Deutschland, gibt es Menschen, die sie mag, aber es kommt auch vor, dass sie jemand ablehnt. Aber hier ist das nicht so. Alle lieben Rikki und Rikki liebt alle.
Für uns ist das schöne daran, dass wir relativ ruhig essen können. Egal, wo sie auch hinrennt, immer haben wir das Gefühl, es kümmert sich jemand um sie. Und immer, wenn wir schimpfen wollen und sagen, sie soll nicht so weit weg laufen, beschwichtigt uns jemand und sagt, es sei schon in Ordnung.
Abends, nach dem Essen, schauen wir immer noch in der Lobby vorbei. Jeden Abend ist hier Programm geboten. Rikki schafft, was kaum jemals sonst wer geschafft hat. Sie zieht mich auf die Tanzfläche. Natürlich bläht sich mein Herz vor Vaterstolz, und ich genieße es, dass wir wohl das bekannteste Urlauberpaar des Hotels sind. Und es vergeht kein Tag, an dem wir nicht abends in unser Zimmer kommen, uns eine gute Nacht wünschen, und Rikki schreit: „Nicht schlafen, ata ata gehen!“
So schön kann Leben sein. Wir genießen jeden Augenblick, egal ob am Strand oder im Hotelpool. Drei Tage lang mieten wir vom Autoverleiher gegenüber einen uralten, klapprigen VW-LT28 Diesel, mit dem wir die Gegend erkunden. Irena und ich, die beiden Kinder und mein Bruder mit dessen Frau haben gemütlich Platz, und wir zahlen ungefähr die Hälfte von dem, was es gekostet hätte, ein Auto im Hotel zu mieten. Nur einmal trübt ein kleiner Streit unseren wunderbaren Urlaub. Ich frage Rikki, ob sie auch einmal vorne sitzen will. Zuhause, in Deutschland, muss sie ja immer im Babysitz hinten angeschnallt sein. Wie interessant muß die Erfahrung sein, denke ich mir, in einem großen VW-Bus vorn drin zu sitzen und den Blick nach vorne zu richten. König der Landstraße!
Aber Isa, meine Schwägerin, versteht das nicht. Bei einem Unfall wäre das viel zu gefährlich. Obwohl Rikki schreit ja, ja, sie will vor, möchte ich die Situation nicht eskalieren lassen. Sie schreit eine Minute, dann ist es auch wieder vorbei. Trotzdem, denke ich mir, es ist schade, dass ich ihr eine neue Erfahrung hätte bieten können, und es hat nicht geklappt. An einen Unfall denke ich im Urlaub sowieso nicht, und wenn schon, dann wäre es auch schlecht für die Kinder, wenn sie quer durch das Auto fliegen würden.
Am nächsten morgen, beim Frühstück, wird alles noch mal aufgerollt und durchdiskutiert, und ich finde, mir fällt ein gutes Beispiel ein.
„Weißt Du, Isa“, sage ich, „wenn das Universum eine Scheibe wäre, dann würdest Du immer versuchen, die Mitte anzustreben, und so hast Du auch Deine Kinder erzogen. Mich dagegen würde es immer nach außen, an den Rand ziehen, und ich würde mich fragen, ob es nicht noch weiter gehen kann.“ Und wenn es möglich wäre, würde ich meine Kinder bei der Hand nehmen, und ich würde erkunden, welche neuen Sphären es zu erkunden gäbe.