Papa sein dagegen sehr.
Rikki Tim-Tom
oder
587 Möglichkeiten, ein Baby falsch zu halten
Ein Fortsetzungstagebuch
Das zweite Jahr, Monat 8
Kapitel 2/22
Urlaub in der Türkei
Wo ist unser Flieger?
Ein jeder Urlaub geht zu Ende, und eine Woche fliegt nur so an einem vorbei.
Eh man sich versieht, sitzt man schon wieder mit vollem Gepäck in der Hotelhalle und wartet darauf, abgeholt zu werden. Und Schwupps, schon ist der Bus zum Abholen da, und wir sind auf dem Flugplatz. Das Gepäck ist eingecheckt und wir warten, dass unser Flug aufgerufen wird.
Und wir warten…
Irgendwann ist die planmäßige Abflugzeit vorbei und wir sitzen immer noch. Irgendwann meldet sich auch eine sympathische Stimme, die uns von einer Verspätung berichtet. Wir warten zwei weitere Stunden, um uns herum füllt sich der Abflugbereich und leert sich wieder, wenn die Maschinen nach London oder Hannover oder Moskau abgeflogen sind. Mittlerweile kennen wir uns alle, die genervten Gesichter sehen ganz anders aus als die von den Leuten, die halt einfach nach hause fliegen. Mittlerweile sollten wir schon seit einer Stunde zuhause sein.
Was sind wir froh, dass wir unseren Buggy noch haben. Um ein Haar hätten wir ihn nämlich verkauft, und unsere beiden Kinder müssten die ganze Zeit auf unseren Schössen sitzen. So rollen wir hin und her, es gibt keine Auslage von Geschäften, die wir nicht in- und auswendig kennen. Wenn uns nur jemand sagen würde, wie es lange es noch dauern würde. Warten ist halb so schlimm, wenn man weiß, worauf und wie lange. Tim bekommt die letzte Flasche, und wir fragen uns, ob es auf dem Flughafen eine Apotheke gibt, die Babynahrung verkauft.
Fast glauben wir es nicht, als eine Stimme unseren Flug aufruft. Am Nachmittag um ein Uhr sind wir vom Hotel abgeholt worden, um vier sollte der Flieger starten, und jetzt ist es neun Uhr abends und alle sind glücklich und springen regelrecht auf, als die Stimme uns zum Ausgang B 12 ruft. Aber da will niemand unsere Bordkarte sehen, es steht nur eine uniformierte Dame da, die sehr bemüht um Freundlichkeit ist. Bestimmt soll sie eine Panik bei Ihren Fluggästen verhindern, aber als sie laut um Gehör bittet, zittert ihre Stimme, und ich kann mir das Gefühl nicht verhehlen, dass sie selbst kurz davor steht, die Fassung zu verlieren.
Jedenfalls bittet sie uns, ihr zu folgen, und dreihundert Menschen ziehen hinter ihr her. Erst geht es durch die Tür Richtung Flugfeld, aber dann geht eine andere Türe auf und wir werden zurück in den Flughafen gelotst, in eine Halle, wo wir durch Glasscheiben sehen können, dass wir unmittelbar hinter der Passkontrolle sind. Hier will sie sich erneut Gehör verschaffen. Unser Flieger, sagt sie, sei kaputt, und wir müssten auf ein Ersatzflugzeug warten. Sie möchte uns im Namen der Reisegesellschaft zu einem Abendessen einladen, wir würden von Autobussen abgeholt und in ein Hotel gebracht werden.
Dazu müssten nun unsere Pässe eingesammelt werden. Das hätte sie wohl lieber nicht gesagt. Tumultartige Szenen spielen sich ab, Leute schreien, sie würden auf keinen Fall ihren Pass abgeben, Tim, in seinem Buggy zwischen aufgebrachten Menschen eingekeilt, fängt zu weinen an, Rikki schreit aus lauter Sympathie mit, ich weiß nicht, worauf ich schauen soll. Ein Polizist hat sich plötzlich neben unserer netten Uniformierten aufgebaut, und er meint, mit Drohungen kann er uns gefügig machen. Entweder Pässe abgeben und in ein Hotel zum Essen fahren, oder weitere sechs Stunden hier in dieser öden Halle bleiben. Er wird regelrecht niedergeschrieen.
Keiner denkt mehr an Sonne und Strand, an freundliche Bedienungen, die einem jeden Wunsch von den Lippen ablesen und Hotelmanager, die keinen anderen Wunsch haben, als glückliche Gäste. Einem jeden von uns gehen Gedanken im Kopf herum von einem totalitären Regime, einem mohammedanischen Staat und Polizisten mit Mpi´s. Ich muss mich um meine Kinder kümmern, sowieso kann man dem Geschehen vorne so gut wie gar nicht folgen. Aber ein bisschen kann ich mich auch einmischen, denke ich mir, und rufe, so laut ich kann: „Ich brauche Babynahrung!! Mein Kind hat seit Stunden nichts gegessen!“ Die Stimmung kippt, und nach weiteren Diskussionen verzichten die Vertreter der türkischen Staatsgewalt auf unsere Pässe. Alle sollen Durchlassscheine erhalten, die wir bei der Rückkehr vorzeigen sollen.
Toll, was sich für eine Solidarität unter den Fluggästen entwickelt. Sofort öffnet sich eine Gasse für uns, dass wir mit Rikki und Tim vor können. Nur mein Bruder und seine Frau sind zu höflich, sich hinter uns her zu drängeln. So nutzt es uns nichts, dass wir unseren Schein bekommen, wir stehen wieder 20 Minuten, bis sie dran gekommen sind und wir wieder vereint sind.
Die Nachtluft tut gut, als wir wieder draußen stehen, nach all dem Schweiß und der Enge in der Halle. Auch ein Bus steht schon für uns bereit, und schon sind wir auf dem Weg in ein 5 Sterne Hotel.
Können Sie sich einen vollbesetzten Speisesaal eines großen Hotels vorstellen, wo auf die schnelle noch 300 weitere Gäste verpflegt werden wollen?
Ich beschließe, dass ich erst mal einen der Chefs suche, um das Problem mit der Hipp Folgemilch zwei zu klären. Egal, wo sie in der Türkei hinfahren, wen sie kennen lernen, alle sind Chefs. Nur, wenn etwas nicht klappt, wenn es eine Panne gibt, dann suchen sie vergeblich nach jemand, der verantwortlich ist. Immerhin finde ich zwar nicht den Chef unserer Mission, aber einer unserer Begleiter bietet an, in der Küche nachzufragen, ob es etwas Kartoffelbrei gibt. „Nein,“ sage ich, „mein Sohn ist 7 Monate alt, und er braucht Hipp Folgemilch zwei!“ Er kullert mit den Augen und fragt, wo er denn so etwas herkriegen soll. Triumphierend sage ich ihm, in jeder Apotheke gibt es die, und er gibt sich geschlagen. Kurz darauf sitze ich in einem Auto, und mein Fahrer fragt, wo er hinfahren soll. Es ist Sonntag abends, halb 10 Uhr. Da müssen wir doch eine offene Apotheke finden können. In der Not findet man zusammen, und wir fahren erst mal in einen kleinen Supermarkt, wo wir etwas Bier kaufen, die Zigaretten drohen schon auszugehen, ein paar Kekse, aber keine Hipp Folgemilch zwei. Was wir haben, bezahle ich, und weiter geht unsere Reise. Wir finden die Apotheke, unsere Babynahrung (die muss jetzt mein Fahrer bezahlen, auch, wenn es deswegen fast Streit gibt, aber schließlich ist es ja nicht meine Schuld, in unserem Gepäck habe ich mehr als ich brauche), und zurück geht’s zum Hotel.
Hier haben meine Leute mittlerweile einen Platz gefunden und gegessen, ich komme auch noch zu einem Teller und die Milch für unseren Tim wird vom Hotel zubereitet. Fast perfekt wird unser Glück, als wir noch ein Zimmer bekommen, wo wir uns ausruhen können. Die anderen Fluggäste müssen in der Halle bleiben.
Es ist jetzt 11 Uhr vorbei, und wir haben erfahren, dass wir um eins abgeholt werden, und unser Flieger würde um vier Uhr starten. Mein Bruder nennt mich einen kleinen Helden, weil ich neben der Milch auch ein paar Dosen Bier mitgebracht habe. Es ist nämlich so, dass in diesem Hotel ein Glas Bier (0,25l) zum Essen gratis ist, und jedes weitere muss mit 3 Euro bezahlt werden. Hotels, die so verfahren, sind niemals neben einem Supermarkt. Da würde es mich interessieren, was dieses Hotel an diesem Abend für zusätzlichen Umsatz hatte.
Immerhin, wir können die Kinder wickeln, den Fernseher ausprobieren und etwas relaxen. Auch der Rest der Reise verläuft planmäßig, das heißt, nachts um eins wieder mit dem Bus auf den Flugplatz, schnell durch die Zollkontrolle, und wieder finden wir uns in der mittlerweile nur zu gut bekannten Abflughalle wieder. Wir sind genügsam geworden, und nur ganz am Rande fragen wir uns, warum es wohl nötig war, uns schon um eins aus dem Hotel hinauszuwerfen, wenn der Flieger erst um vier Uhr morgens geht.
Dafür frage ich mich, ob ich noch rechtzeitig zu meinem Termin kommen werde. Ich muss nämlich Montag morgen um halb neun einen Kindergarten fotografieren. Aber zuverlässig wie meistens startet die Maschine pünktlich, und ich bin froh, dass wir unser Auto am Flughafenparkplatz stehen haben. Endgültig zu hause angekommen bleibt mir nicht einmal die Zeit, mich zu duschen. Ich ziehe mich nur um, packe mein Auto und fahre zu meinem Kindergarten. Das Personal ist schon mehr als nervös, dass ich 20 Minuten zu spät komme. Sie glauben, ich mache Spaß, als ich sage, dass ich gerade aus der Türkei komme. Aber irgendwie klappt doch noch alles und am Nachmittag bin ich zu hause und kann halbtot ins Bett fallen.