Papa sein dagegen sehr.
Rikki Tim-Tom
oder
587 Möglichkeiten, ein Baby falsch zu halten

Ein Fortsetzungstagebuch

Das vierte Jahr, Monat 4

4-41

Ich will nicht in den Kindergarten!

Eigentlich ist alles so wie immer.

Wir sind aufgestanden, haben uns gewaschen, Zähne geputzt und angezogen, und eigentlich ist alles so wie immer. Erst, als Rikki noch geschlafen hat, hat Irena gesagt, die Rikki bleibt heute daheim. Vorgestern ist Rikki eine Tasse heruntergefallen, und sie hat sich geschämt, und gestern war die erste Elternbesprechung. Alles ist prima, hat die Erzieherin gesagt, sie hat sich gut eingelebt, spielt viel mit Puppen, und kann prima alle Spiele spielen, die für ihre Altersgruppe gedacht sind. Nur bleibt sie manchmal zu sehr für sich allein und sucht nicht von sich aus den Kontakt zu den anderen Kindern. Aber bitte nicht ernst nehmen, alles ist in Ordnung, nur manchmal ist sie ziemlich stur. Und dann war da noch irgend etwas mit einer Tasse, aber da habe ich nicht so recht verstanden, was die Erzieherin meiner Frau gesagt hat. „Und deshalb willst Du die Rikki heute nicht in den Kindergarten schicken?“, frage ich Irena und schaue sie mit großen Augen an.

Erst nach einigem Nachfragen kommt heraus, dass sie gestern versprochen hat, ein Bild von sich mit Rikki zusammen zu machen. Sie ist frisch in den Elternbeirat gewählt, und da wollen sie ein Bild von den beiden aufhängen. Nur- gemacht hat sie das Bild nicht, und jetzt schämt sie sich, weil doch gerade wir als Fotografen an der Quelle sitzen. Und deshalb will sie die Rikki heute nicht in den Kindergarten schicken? „Also“, sage ich, „jetzt wecken wir die Rikki, ich hole die Kamera aus dem Laden unten, wir fotografieren, und bis Du die Rikki angezogen hast, habe ich das Bild schon fertig“. Action, Kaba, Kamera, knipsen, und schon kann es los gehen…“.

Bis die Rikki auf einmal sagt: „Ich will nicht in den Kindergarten!“

Ich schaue einen Moment Irena an und finde den gleichen ungläubigen und leicht verstörten Ausdruck in Ihrem Gesicht, den ich wahrscheinlich genau so wieder spiegle. Fürsorglich beuge ich mich runter zu ihr und frage, „Warum willst Du nicht in den Kindergarten gehen?“. Die Antwort lautet einfach „Ich will nicht“. Punkt.

Wie stolz und glücklich waren wir, als sie ihren ersten Tag dort verbrachte. Spaß hatte es ihr gemacht, kein bisschen Heimweh hatte sie, und als sie voller Begeisterung heimgekommen war, haben wir uns genau so gefreut und dachten, das Thema können wir abhaken.

Irena war besser im ausfragen als ich. Und was habt ihr alles gemacht? Und hast Du viele Freunde? Und habt ihr auch gesungen? Und Rikki erzählt alles, und alle freuen sich auf den nächsten Tag.

Das ist zwei Wochen her, und nun sagt Rikki einfach: „Ich will nicht in den Kindergarten.“

„Aber die Lisa ist doch da, und du musst doch die Bilder abgeben, jetzt komm, ziehen wir die Jacke an.“. Aber der Kommentar lautet: „Ich will nicht“.

Also gut, denke ich mir, bestimmt geht das vorbei, jetzt ziehen wir erst mal die Jacke an. „Neiiin, ich will nicht, ich will nicht!!“ Reden hilft nichts, kuscheln hilft nichts, die Rikki will nicht. Also verspreche ich ihr, wir fahren mal hin, und wenn sie wirklich nicht will, muss sie nicht bleiben.

Mit viel Mühe stehen wir schließlich am Eingang. „Ich will nicht, ich will nicht…!“ Etappe für Etappe muss ich mich vorkämpfen. Jetzt gehen wir erst mal rein- jetzt ziehen wir erst mal die Jacke aus und die Hausschuhe an, aber jedes mal höre ich nur (und jedes mal noch etwas lauter): „Ich will nicht in den Kindergarten, ich will nicht in den Kindergarten!!!“

Alle Mamas, die ihre Kinder neben uns umziehen, lächeln verständnisvoll, jedem ist so etwas schon einmal passiert, oder zumindest, es könnte jedem mal passieren, natürlich hält mich keine von denen für einen Rabenvater, aber ich könnte trotzdem gerne darauf verzichten. „Aber Du musst doch dein Bild abgeben“, sage ich, jetzt gehen wir erst mal in die Gruppe. Halb klammert mich die Rikki, halb ziehe ich sie, und jetzt muss mir doch jemand helfen, denke ich mir, als wir endlich erst mal im Zimmer der Tigerentengruppe angekommen sind.

Die ganze Zeit gehen mir natürlich Gedanken durch den Kopf, ob es nicht vielleicht besser wäre, wenn ich die Rikki einfach wieder mit heim nehmen würde. Verspiele ich vielleicht das ganze Vertrauen meiner Tochter, wenn ich sie zu etwas zwinge, das sie nicht mag. Und noch dazu mit so gemeinen Tricks wie erst mal anziehen, erst mal hinfahren, erst mal umziehen…. Und immer mit dem Versprechen, ich nehme sie wieder mit nach hause, wenn sie wirklich nicht will.

Richtig gemein fühle ich mich, aber jetzt kümmert sich schon eine Erzieherin um mich. Ich soll ein bisschen herein kommen und mit Rikki spielen. Gerne nehme ich dieses Angebot an, sicherheitshalber setze ich mich aber an einen Tisch, wo eine Erzieherin schon mit anderen Kindern Memory spielt. Es geht sogar einigermaßen gut, aber kaum will ich aufstehen, klammert sich die Rikki fest an mich.

Fast 20 Minuten gehen so vorbei, bis die Leiterin zu uns kommt und meint: „Also, so geht das jetzt nicht weiter“. Sie spricht mir aus der Seele, als sie meint, man brauche jetzt eine Lösung. Wenn ich das jetzt durchgehen lassen würde, würde mir meine Tochter nach Belieben auf dem Kopf herumtanzen. „Also meinen Sie, ich soll jetzt einfach gehen, so richtig brutal?“, frage ich sie, und etwas pikiert über meine Wortwahl stimmt sie mir zu. „Ich würde es eher konsequent nennen.“

Ich bin ein echter Judas, denke ich mir, als ich meine weinende Tochter der Erzieherin an die Brust drücke, mich umdrehe und die Tür hinter mir schließe. Wie oft habe ich ihr versprochen, dass ich sie wieder mit nach hause nehme, wenn sie wirklich nicht will?

Die Erzieherin hatte ich noch gefragt, ob sie wohl mit der Situation zurecht käme. Sie schon, meinte sie, die Frage wäre eher, ob ich damit umgehen könne. Und wirklich geht mir meine Tochter den ganzen Vormittag nicht aus dem Kopf. Erziehung hin oder her, ich habe sie schwer missbraucht, ihr Vertrauen in mich ist bestimmt schwer erschüttert. Die Liebe zwischen ihr und mir beruht doch gerade darauf, dass man sich gerade in Zeiten der Not auf einander verlassen kann. Nie und nimmer hätte ich sie allein lassen dürfen.

Aber natürlich, auf der anderen Seite, muss jeder Mensch lernen, sich in eine Gemeinschaft zu integrieren. Irgendwann muss das jeder lernen- es stimmt mich nur melancholisch, dass es bei der Rikki jetzt schon los geht. Wie lange ist es nun schon her, dass sie ein kleines Baby war.

Hoch gespannt erwarte ich sie, als sie endlich kommt. Wie wird sie sich wohl verhalten? Sie breitet fünf Meter vor mir ihre Ärmchen aus und fliegt auf mich zu. Und ich packe sie, werfe sie hoch, drücke sie ganz fest an mich, kuschele sie und frage schließlich: „Rikki, und wie war’s im Kindergarten?“ Und sie strahlt mich an und meint: „Toll, Papa, ich habe viele Freunde da!“

 

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