Lang, lang ist´s her…

Aber die Erinnerungen an die Geburt und das Heranwachsen unserer Kinder
in den ersten Lebensjahren zählen zu meinen liebsten Erinnerungen.
Mit Fotografie haben die hier folgenden Seiten nichts zu tun,
aber wenn Sie gerne lesen, teile ich hier meine Erinnerungen.

Papa sein dagegen sehr.

Rikki Tim-Tom
oder
587 Möglichkeiten, ein Baby falsch zu halten

Ein Fortsetzungstagebuch

Kapitel 1/1, Tag -1

Das können keine Wehen sein

 

Alles haben wir gelernt.
Natürlich waren wir in der Schwangerschaftsgymnastik, wir haben den Kreissaal besichtigt, auf Schautafeln wurde uns erklärt, wie das mit der Entbindung geht, und was da im Körper alles passiert. Und dass wir erst ins Krankenhaus fahren werden, wenn die Wehen in einem Abstand von weniger als 20 Minuten kommen.

Die Tasche ist gepackt, und wir haben uns vorgestellt, wie der Ablauf wohl sein wird. Nach den ersten Wehen machen wir uns noch ein schönes Bad, ich kann in die Dusche gehen, dann schauen wir auf die Uhr und warten ab, bis wir ins Krankenhaus fahren.

Haben wir uns gedacht.

Der Entbindungstermin kommt und vergeht, aber das Baby nicht. Meiner Frau tut jeder Schritt weh, und wir wünschen uns nichts sehnlicher, als dass es endlich losgeht. Die Untersuchungen laufen jetzt schon im 2-Tages-Abstand, und längst bin ich nicht mehr bei jeder einzelnen dabei. Früher, in den ersten Monaten der Schwangerschaft, wäre mir das nie passiert. Natürlich haben wir uns aufgeregt über die langen Zeiten im Wartezimmer, ich bin mir auch jedes mal ein bisschen wie ein Fremdkörper darin erschienen, aber das Bild im Ultraschall, die Bewegungen des Babys, das Schlagen der Herzens war schon sehenswert.

Am Anfang jedenfalls. Die letzten beiden Monate hat man kaum mehr etwas erkennen können, weil das Baby schon zu groß war. Also habe ich angefangen, mich ein bisschen zu drücken.

Und jetzt warten wir einen Tag um den anderen. Ich habe schon aufgegeben, meinen Tagesplan nach meiner Frau zu richten. Ich hoffe einfach, dass ich, wenn es dann so weit ist, mit meiner Frau mitgehen kann.

Wir sind jetzt schon 10 Tage über den Entbindungstermin hinaus, und es passiert einfach nichts. Es gibt keine Spaziergänge mehr, den täglichen Abwasch erledige ich selber, und ich hoffe, dass ich nicht noch waschen und bügeln lernen muss. Und die Angst macht sich breit. Wie wird es gehen? Wird das Baby gesund sein? Der Bauch spannt so sehr, dass wir Angst haben, er könnte bald platzen.

Jeden Morgen gehe ich in die Arbeit, und jeden Abend komme ich nach Hause. Und jeden Abend werden meine zwiespältigen Gefühle größer. Ich freue mich auf meine Frau und den Trost und die Unterstützung, die ich ihr –vielleicht- geben kann, andererseits fürchte ich mich jeden Abend mehr vor der Spannung, die mich daheim erwartet und bis zum nächsten Morgen nicht mehr loslässt.

Fast bin ich froh, als Irena erzählt, der Arzt werde vielleicht doch eine künstliche Einleitung herbeiführen. Aber erst übermorgen.

Also sitzen wir wieder vor dem Fernseher, ich tu ein bisschen Bauch streicheln wie jeden Abend, ich reibe meine Frau mit einer Dehnungscreme ein, von der wir beide nicht glauben, dass sie viel helfen kann, ich gehe in die Dusche und später wie jeden Abend ins Bett.

Und als meine Irena aufschreit, ist alles ganz anders. Und es ist gar nicht so, wie wir uns das gedacht hatten.

Meine erste Reaktion ist: cool bleiben, cool bleiben.

Sind das die Wehen? Auf keinen Fall wollen wir zu früh im Krankenhaus sein. Diese Blöße werden wir uns nicht geben. Es könnte ja auch sein, dass dieser plötzliche Schmerz eine ganz andere Ursache hat.

Ganz egal, was es ist, jetzt muss Irena merken, dass sie einen starken Mann hat, auf den sie sich verlassen kann.

„Ruhe ausstrahlen“, denke ich immerzu, und nach der ersten Entspannungsphase sage ich, jetzt passen wir erst mal auf, ob der Schmerz wieder kommt, und schauen auf jeden Fall auf die Uhr. Es ist 2 Minuten vor Mitternacht. Keine fünf Minuten später schreit meine Frau wieder.

„Das können keine Wehen sein“, sage ich, „für richtige Wehen müsste der Abstand viel größer sein“, und innerlich verkrampfe ich mich, und ich denke, wir sind bestimmt schon viel zu spät dran fürs Krankenhaus. Zittern, bangen, streicheln, beruhigen, und pünktlich nach 5 Minuten spüre ich, wie sich Irenas Körper wieder zusammen zieht. Zwei Minuten halte ich sie fest, dann sage ich: „Ich rufe jetzt im Krankenhaus an.“

 

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